Autophagie

Die Autophagie ist ein Reinigungs- und Recyclingprogramm unserer Zellen, bei dem defekte und abgestorbene Zellteile entsorgt und neue Zellstrukturen aufgebaut werden – ein evolutionsbedingter Selbsterhaltungsmechanismus des Körpers, der verjüngend wirkt und gesund erhält. Eine gestörte oder verminderte Autophagie hingegen reduziert die Immunantwort, führt zu Blutarmut und beschleunigt den Alterungsprozess. Funktionsstörungen der Autophagie-Mechanismen werden zudem mit der Auslösung schwerwiegender Erkrankungen in Zusammenhang gebracht, von Typ-2-Diabetes über Parkinson bis hin zu Krebs. Doch die gute Nachricht ist: Jeder kann die Autophagie-Mechanismen seines Körpers gezielt stimulieren. Vor allem das Fasten ist hierzu eine effektive Möglichkeit. Um die unzähligen physiologischen und biochemischen Prozesse in seinem Inneren reibungslos zu gewährleisten, ist unser Körper stets bestrebt, einen Gleichgewichtszustand aufrechtzuerhalten, bei dem nicht mehr funktionsfähige Zellen bzw. Zellbestandteile durch neue ersetzt werden. Dieser auch als Zellhomöostase bezeichnete Status wird u. a. durch den Mechanismus der Autophagie gewährleistet. Autophagie-Prozesse laufen kontinuierlich in unserem Körper ab – auf einem bestimmten Basisniveau. So verfügt unser Körper über rund 100 Billionen Zellen. In nur einer Sekunde werden 10 bis 50 Millionen davon entsorgt und durch neue ersetzt: in der Haut, im Knochengewebe oder in der Leber. Immunzellen müssen ebenso erneuert werden wie Nervenzellen. Unabhängig vom natürlichen Alterungsprozess menschlicher Zellen können auch Umweltfaktoren wie Toxine, UV-Strahlen, Stress, aber auch normale oxidative Prozesse wie die Atmung unser Erbgut schädigen. Mehrere 10.000 solcher DNA-Schäden erleidet jede menschliche Zelle an nur einem Tag. DNA-Schäden können zu Zellmutationen und in der Folge zu Krebs führen. Daher müssen die entsprechenden Zellen repariert oder – wenn das nicht möglich ist – aussortiert werden. Ein weiteres gesundheitliches Risiko geht von beschädigten Mitochondrien aus. Diese Organellen sind die Energielieferanten einer jeden Zelle und werden daher auch als Kraftwerke unserer Zellen bezeichnet. Sind sie defekt, können sie ebenfalls Zellschädigungen hervorrufen. Daher müssen sie schleunigst unschädlich gemacht werden. Neben der Apoptose, dem programmierten Zelltod, bei dem sich die Zelle quasi selbst zerstört, ist die Autophagie eine effektive Maßnahme des Körpers, um das Zellüberleben zu sichern, indem entartete oder beschädigte Zellen entsorgt werden, noch bevor sie sich ausbreiten oder zu funktionalen Defekten führen können. Die Autophagie ist, evolutionär gesehen, noch einer weiteren Notwendigkeit geschuldet: In Zeiten der Not, wenn Nahrung knapp oder nur temporär verfügbar war – was in der Geschichte der Menschheit eher die Regel, denn die Ausnahme war –, sicherte sie die Bereitstellung von Fetten, Nukleinsäuren und Proteinen als Ausgangsmaterial für die Neubildung zellulärer Strukturen, um das Zellgleichgewicht, die Funktionsfähigkeit des Organismus und die Energieversorgung zu gewährleisten. Überflüssige, nicht mehr ganz intakte Zellen wurden dabei geopfert, um Energie für die noch vitalen Zellen schneller verfügbar zu machen. Dieses Notprogramm des Körpers wird heute in Zeiten voller Kühlschränke, in denen viele Menschen eher an den Folgen zu üppiger und permanenter Nahrungszufuhr leiden und Zivilisationserkrankungen wie Übergewicht, Diabetes oder Bluthochdruck entwickeln, kaum noch aktiviert. Doch die gute Nachricht ist: Indem wir weniger essen oder fasten, können wir uns den heilsamen Effekt der Autophagie zunutze machen und von den regenerierenden Effekten profitieren. So setzt Hunger den entsprechenden Stressreiz, der unsere Autophagie-Mechanismen effektiv ankurbelt. Doch was genau passiert eigentlich bei der Autophagie? Autophagie: effektiver Recyling-Zyklus Der Begriff der Autophagie oder auch Autophagozytose entstammt dem Griechischen und heißt so viel wie „Selbst-Verspeisung“ oder „Selbst-Verdauung“. Verspeist wird jener zelluläre Müll, der entsorgt werden muss, und das läuft im Wesentlichen wie folgt ab: Die zu entsorgenden Zellbestandteile senden Signale an die Membran, die Außenhülle der Zelle, woraufhin die Autophagie eingeläutet wird. Zunächst wird aus Proteinen und Fetten eine doppelwandige Membran gebildet, die sogenannte Phagophore. Diese wächst zu einem runden Fangschirm und schließt die zu entsorgenden Zellbestandteile ein, beispielsweise ein defektes Mitochondrium. Sobald sich die Membran geschlossen und das zu entsorgende Mitochondrium ähnlich einer Raumkapsel eingekreist hat, spricht man von einem Autophagosom. Im nächsten Schritt öffnet sich dann die äußere Membran und verbindet sich mit einem Lysosom, das für die eigentliche Verdauung zuständig ist. Lysosomen sind bläschenförmige Organellen, die u. a. Enzyme enthalten, mittels derer das zu eliminierende Mitochondrium enzymatisch abgebaut wird. Man kann sich das in etwa so vorstellen, dass das Lysosom durch die äußere Membran eingeschleust und auf diese Weise zum Bestandteil des Autophagosoms wird. Aus dieser Verbindung und Zusammenarbeit wird jetzt das sogenannte Autolysosom. Und in dieser Organelle, dem Autolysosom, wird das defekte Mitochondrium endgültig zerlegt. Dabei entstehende Abbauprodukte werden an das Zytoplasma abgegeben, verbleiben also in der Zelle und werden für den Aufbau neuer Zellstrukturen genutzt: ein natürlicher Recyclingzyklus, der übrigens auch pflanzlichen Zellen zu eigen ist. Diese Form der Selbstverdauung ist eine höchst ökonomische Materialgewinnung, aus der heraus sich der Körper permanent selbst erneuert. Interview mit Prof. Dr. Katja Simon, Pionierin auf dem Gebiet der Autophagie-Forschung Unzureichende Autophagie-Prozesse stehen in Zusammenhang mit Alterserkrankungen wie Diabetes Typ 2, mit Nervenerkrankungen wie Parkinson oder auch im Alter abnehmenden Immunantworten. Antje Maly-Samiralow hat sich für NATUR & HEILEN mit Prof. Katja Simon, einer der führenden Wissenschaftlerinnen auf dem Gebiet der Autophagie-Forschung, unterhalten. Frau Prof. Simon, es ist der ewige Menschheitstraum: ein langes und gesundes Leben. Welchen Beitrag leistet die Autophagie dazu? Autophagie ist der eigentliche Recycling- und Abbaumechanismus der Zelle. Defekte oder gealterte und nicht mehr funktionstüchtige Organellen werden abgebaut und entsorgt. Das betrifft beispielsweise Mitochondrien, die Energiezentren der Zellen, die Ribosomen, die Proteine nach Bauplan erstellen, das Endoplasmatische Retikulum, wo die Proteine gefaltet, ergänzt und in Form gebracht werden, oder den Golgi-Apparat, dessen Aufgabe u. a. darin besteht, die Proteine je nach Funktion zu vollenden, zu verpacken und so zu codieren, dass sie ihren Zielort erreichen, und sie auf die Reise zu schicken. All diese Organellen haben spezifische Aufgaben innerhalb der Zelle, die für die Funktion des Organismus essenziell sind. Im Laufe der Zeit häufen sie jedoch Abfall an, der entsorgt werden muss, und je älter wir werden, desto mehr Abfall häufen diese Organellen an. Wird die gesamte Organelle entsorgt oder nur Teile davon? Sowohl als auch. Wenn die DNA eines Mitochondriums beispielsweise so stark geschädigt ist, dass eine gewisse tolerable Schwelle überschritten ist, wird nicht das gesamte Mitochondrium aussortiert. Der geschädigte Teil wird in einem Bereich des Mitochondriums abgelagert, der dann vom Autophagosom „verspeist“ wird. Ist das Mitochondrium jedoch in größerem Umfang geschädigt, besteht ein erhöhtes Risiko, dass es vermehrt freie Radikale freisetzt, die die gesamte Zelle und darüber hinaus weitere Zellen des Gewebeverbandes schädigen. Dann muss das gesamte Mitochondrium entsorgt werden – und zwar schleunigst. Grundsätzlich haben Mitochondrien eine kurze Lebenszeit von 10 bis 20 Tagen. Danach müssen sie ohnehin abgebaut werden. Das ist insofern unproblematisch, als eine Nervenzelle beispielsweise über 2.000 dieser Kraftwerke, mithin über ein großes Reservoir an funktionstüchtigen Mitochondrien verfügt, die auch neu synthetisiert werden können. Es geht darum, ein Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, sodass die einzelne Zelle funktionsfähig bleibt und damit der Zellverband sowie der gesamte Organismus. Das ist das grundlegende Ziel der Zellhomöostase, die u. a. durch Autophagie gewährleistet wird. Aus den „verdauten“ Organellen wie auch aus abgebauten, fehlerhaften Proteinen werden Materialien gewonnen, etwa Fette, Proteine und Aminosäuren, die für den Aufbau neuer Strukturen zur Verfügung stehen. Aus Alt und Kaputt wird Neu. So verjüngt sich der Organismus und erhält seine Vitalität. Demnach ist die Autophagie ein überlebenswichtiger Mechanismus? Ohne Autophagie kann eine Zelle nicht überleben, unabhängig ob in der Pflanze, in Tieren oder Menschen. Wenn wir in menschlichen Zellkulturen die Autophagie unterbinden, gehen die Zellen meistens zugrunde, Gleiches gilt für Tiere. Ohne Autophagie können die Mitochondrien nicht mehr abgebaut werden. Mit der Zeit wird ihre Membran durchlässig, leaky, wie man das von einer durchlässigen Darmwand kennt. In der Folge läuft das Protein Cytochrom c aus, das an der Energiegewinnung in den Mitochondrien beteiligt ist, und gelangt ins Zellplasma. Cytochrom c hat die Funktion, im Fall schwer beschädigter Mitochondrien die Apoptose auszulösen, den programmierten Zelltod. Das heißt, wenn ein defektes Mitochondrium aufgrund von fehlender Autophagie nicht recycelt werden kann, geht die ganze Zelle zugrunde. Warum lässt der Prozess der Autophagie im Alter nach? Wenn wir älter werden und unsere Aufgabe im Sinne der Evolution, nämlich Reproduktion zur Arterhaltung, erfüllt haben, sind wir aus evolutionärer Sicht überflüssig. Dass die Autophagie mit zunehmendem Alter nachlässt, ist insofern Teil des ganz normalen Alterungsprozesses, dem viele Funktionen anheimfallen. Ein weiterer Aspekt, der die nachlassende Autophagie erklären könnte, liegt möglicherweise darin begründet, dass sich das Mikrobiom mit zunehmendem Alter verändert und weniger differenziert ist – das heißt, wir haben eine deutlich geringere Bakterienvielfalt. Und bestimmte Metaboliten, also Stoffwechselprodukte im Darm, sind an der Aufrechterhaltung der Autophagie beteiligt. Die Autophagie lässt also im Alter nach, gleichzeitig begünstigt eine unzureichende Autophagie den Alterungsprozess? Was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass die Autophagie im Alter nachlässt und dass diese Entwicklung den Boden für Erkrankungen bereitet, die wir auch als Alterserkrankungen bezeichnen. Wenn wir z. B. bei Mäusen die Autophagie unterbinden, dann entspricht das Immunsystem einer 2 Monate alten Maus dem einer 18 Monate alten Maus. Im Umkehrschluss konnten wir zeigen, dass sich ein geschwächtes Immunsystem bei Mäusen deutlich verbesserte und normalisierte, wenn wir ihnen Spermidin* gaben, ein Stoff, der etwa in fermentierten Sojaprodukten enthalten ist und der die Autophagie ankurbelt. Bei einer altersbedingten oder möglicherweise genetisch verursachten mangelhaften Autophagie haben wir es also mit einem alternden und daraus resultierend weniger funktionsfähigen Immunsystem zu tun. Wir werden infektanfälliger, weil z. B. Makrophagen und Neutrophile, die Bakterien und Viren unschädlich machen, schlechter arbeiten. Auch die T-Gedächtniszellen als Teil der erworbenen Immunantwort nehmen ab. Wenn Sie als Kind beispielsweise eine Infektion mit dem Rötelnvirus hatten, dann speichern Sie die Rötelnvirus-spezifischen Gedächtniszellen für den Rest Ihres Lebens, damit das Immunsystem bei einer erneuten Infektion den Erreger erkennen und bekämpfen kann. Eine weitere Folge davon ist beispielsweise, dass eine Grippeschutzimpfung bei älteren Menschen nicht so gut wirkt, weil die Gedächtniszellen infolge eines schlechten Autophagie-Levels nicht in ausreichendem Maße und nicht lange genug aktiv sind. Führt eine mangelhafte Autophagie auch dazu, dass wir weniger gut auf neue Erreger reagieren können? Ja. Wir Menschen verfügen nur über einen limitierten Pool an naiven T-Zellen, die gewissermaßen ein unbeschriebenes Blatt sind und die passende Immunantwort auf neue, für den Körper bislang unbekannte Erreger entwickeln. Naive T-Zellen werden in der Thymusdrüse gebildet, die sich allerdings um die Pubertät, spätestens mit dem Übergang zur Adoleszenz zurückbildet. Die bis dahin gebildeten naiven T-Zellen sind unser Vorrat, der bis zum Lebensende reichen muss. Daher ist es für diesen langlebigen Zellvorrat besonders wichtig, dass sie gesund bleiben – und das wird durch Autophagie gewährleistet. Im Fall einer geschwächten Autophagie sind die naiven T-Zellen weniger gut in der Lage, auf neue Erreger zu reagieren, was u. a. die Zunahme an Infektionen mit schweren Verläufen im Alter erklärt. Welche Rolle spielen Autophagie-Prozesse für den Stammzell-Pool? Bei den langlebigen hämatopoetischen Stammzellen beispielsweise bedarf es der Autophagie, damit sie sich zu Blutzellen spezialisieren und ausdifferenzieren können. Ein bestimmter Typ von Blutzellen, die roten Blutkörperchen, müssen zudem ihre Mitochondrien, aber auch andere Organellen mithilfe von Autophagie entsorgen, um sich zu verkleinern, in die feinsten Kapillaren zu gelangen und die Zellen mit Sauerstoff versorgen zu können. Wenn wir die Autophagie ausschalten, können wir sehen, dass die roten Blutkörperchen verenden. Wir vermuten auch, dass mangelhafte oder gestörte Autophagie-Prozesse in Zusammenhang mit Blutarmut und Leukämie stehen. Welche weiteren Krankheitsbilder sind mit einer gestörten bzw. zu geringen Autophagie assoziiert? Entzündungen nehmen zu und damit auch Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder Arthrose. Wir wissen, dass die Autophagie nicht nur Entsorgungs- und Recyclingaufgaben wahrnimmt, sondern im Fettgewebe auch antientzündliche Prozesse auslöst. Das heißt, ein gutes Autophagie-Level verhindert einerseits Entzündungen und hilft andererseits, bestehende Entzündungsprozesse zu modulieren. Zudem häufen sich bei einer verminderten Autophagie und der zwangsläufigen Ansammlung von „Zellschrott“ fehlgefaltete Proteine an, die normalerweise entsorgt werden würden. Diese können regelrechte Klümpchen bilden. Ablagerungen solcher Proteinansammlungen in Nervenzellen im Gehirn gelten als ursächlich für neurodegenerative Erkrankungen, vor allem für Parkinson und Demenzerkrankungen. Woran forschen Sie aktuell? Ich bin Immunologin und versuche, die immunologischen Prozesse auf zellulärer Ebene besser zu verstehen. Ich untersuche den Einfluss der Autophagie auf Immunzellen, die Entzündungen an Herz- und Hirnstrukturen verursachen, sowie den Autophagie-Einfluss bei der Abwehr von Erregern und der Impfantwort. Darüber hinaus versuchen wir zu ergründen, inwiefern Fasten, kalorische Restriktionen, Bewegung oder die Supplementierung mit Spermidin die Autophagie-Werte verbessern können. Das ist hochkomplex und extrem spannend. Prof. Simon, herzlichen Dank für das Gespräch! Antje Maly-Samiralow * Siehe auch NATUR & HEILEN 3/2022 „Jungbrunnen Spermidin. Wirkt auch gegen Viren“ Über die Autorin Antje Maly-Samiralow ist Journalistin mit Schwerpunkt auf Medizin- und Gesundheitsthemen, Autorin und Moderatorin. Interview Dr. med. Thomas Rampp Fasten als starkes Therapeutikum, das die Autophagie aktiviert Fasten ist ein therapeutischer Schwerpunkt in der naturheilkundlichen Praxis und eines der potentesten Heilmittel. Beim Fasten wird die Autophagie aktiviert, wodurch unsere Körperzellen sich selbst reinigen und damit gesund und leistungsfähig bleiben. Wer davon profitiert und wie man richtig fastet, erklärt Dr. Thomas Rampp, Oberarzt der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin, Kliniken Essen-Mitte. Dr. Rampp, Sie führen in Ihrer Klinik Heilfasten durch. Warum? Heilfasten ist mit Abstand eine unserer wirksamsten Therapien. Wir setzen es bei Entzündungen ein, es ist ein wunderbares Mittel bei verschiedensten Schmerzerkrankungen und hochwirksam bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson und Morbus Alzheimer. Auch bei Arthrose und Autoimmunerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis sowie chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, sprich Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, wirkt Heilfasten unterstützend. Gibt es Daten, die die Wirksamkeit von Heilfasten untermauern? Es gibt sehr gute Daten für die rheumatoide Arthritis. Eine skandinavische Arbeitsgruppe um Kjieldsen Kragh hat in den 1990er-Jahren sehr deutlich gezeigt, dass die typischen Beschwerden nach dem Fasten deutlich besser wurden, etwa Morgensteifigkeit und Grifffestigkeit – also dass man eine Flasche aufmachen oder normal mit Küchengeräten hantieren kann, was für Rheumapatienten häufig schwer bis gar nicht möglich ist. Auch Entzündungsparameter wie der CRP-Wert (C-reaktives Protein), die Blutsenkungsgeschwindigkeit und diverse Rheumafaktoren konnten gesenkt werden. Die Patienten waren ein ganzes Jahr in die Studie eingeschlossen. Zu Beginn machten sie 7 Tage klassisches Heilfasten nach Buchinger, so wie wir es auch in unserer Klinik anbieten. Danach haben sie sich 3 Monate quasi vegan ernährt und in den restlichen 9 Monaten vegetarisch. Das Interessante war, dass ihre Werte nicht nur nach der Woche Heilfasten deutlich besser waren, sondern auch am Ende des Jahres. Hinzu kommt, dass viele Patienten ihre Rheumamedikamente reduzieren konnten. Rheuma ist eine Erkrankung, die häufiger Frauen betrifft. Betreuen Sie auch mehr Frauen, die fasten? Ja, das ist so. Zum einen legen Frauen in der Regel eine größere Offenheit für naturheilkundliche Therapien an den Tag. Aber Frauen haben leider auch überdurchschnittlich häufiger Autoimmunerkrankungen im Vergleich zu Männern. Woher rührt das? Frauen haben grundsätzlich ein besseres Immunsystem als Männer. Das ist evolutionsbiologisch durch die Rolle der Mutterschaft begründet. Leider zahlen sie einen hohen Preis dafür, wenn sich dieses stärkere Immunsystem ins Gegenteil verkehrt und autoaggressiv reagiert, sprich körpereigene Strukturen angreift. Bei Rheuma sind das u. a. Gelenke, Bindegewebe oder Muskeln. Übrigens gibt es eine gute Metaanalyse von Dr. Horst Müller et al., die ebenfalls zeigt, dass Fasten ein hochwirksames Therapeutikum bei Rheuma ist. Sind so starke Fasten-Effekte auch für andere chronische Erkrankungen bekannt? Rainer Stange von der Charité Berlin hat mehrere Studien mit Arthrose-Patienten gemacht, die er fasten ließ. Und die Ergebnisse sehen ähnlich aus: weniger Schmerzen, bessere Beweglichkeit, weniger Medikamentenkonsum. Dr. Horst Müller vom Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaften in Bad Elster hat mit seinem Team zudem auch gute Effekte auf die Senkung eines zu hohen Blutdrucks nachweisen können, eine der Volkskrankheiten unserer Zeit. Nach meinen eigenen Erfahrungen – und wir machen das jetzt seit 25 Jahren – profitieren auch Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen sehr stark vom Fasten. Da ist allein schon die Ruhepause eine Wohltat für so einen entzündeten Darm. Könnten Sie das genauer ausführen? Jede Nahrungsaufnahme setzt einen maximalen Reiz für den Darm, weil das Immunsystem jedes Mal hochfährt. Nahrung ist ja per se ein Fremdstoff, und das Immunsystem bläst zum Alarm, weil ja nie sicher ist, ob Toxine oder andere Pathogene in den Darm gelangen, die unschädlich gemacht werden müssen. Das heißt aber auch, dass jedes Mal entzündungsfördernde Botenstoffe auf den Plan gerufen werden und ein zwar geringfügiges, aber immer wiederkehrendes Entzündungsgeschehen entfacht wird. Das ist den Menschen nicht bewusst, wenn sie sich permanent eine „kleine Zwischenmahlzeit“ in den Mund schieben. Was viele noch immer für eine gesunde Ernährungsweise halten, obwohl es längst widerlegt ist. Es ist nicht nur widerlegt, es widerspricht komplett unserer Konstitution. Nicht essen ist die Regel, dauernd essen macht krank. Und das sehen wir ja auch. Patienten mit entzündetem Darm oder anderen Autoimmunerkrankungen haben in der Regel auch eine Permeabilitätsstörung. Die Darmbarriere ist durchlässiger, sodass Nahrungsbestandteile in den Blutkreislauf gelangen und vom Immunsystem als Fremdstoffe attackiert werden, was wiederum Entzündungen und letztlich Autoimmunerkrankungen triggert. Deshalb ist Fasten in jeder Form, auch intermittierendes Fasten oder das Einlegen von 1, 2 Entlastungstagen pro Woche, das Beste, was man für seinen Darm tun kann – und übrigens auch für das Immunsystem, das endlich mal zur Ruhe kommt und sich regenerieren oder andere Aufgaben wahrnehmen kann. Ich kann das wirklich nur jedem ans Herz legen, egal ob gesund oder krank. Fasten ist ein so starkes und dazu noch kostenloses Therapeutikum, das auch präventiv wirkt. Das gilt insbesondere für neurodegenerative Erkrankungen. Inwiefern? Aus naturheilkundlicher Sicht gehen wir davon aus, und das bestätigen auch namhafte Neurologen, z. B. von der Universität Bochum, dass das Mikrobiom bei Parkinson-Erkrankten eine wesentliche Rolle spielt. Deshalb ist die Behandlung des Darms bei diesem Krankheitsbild elementar. Welche Symptome verbessern sich konkret durch Fasten? Typisch für Parkinson ist ja der Tremor, das unkontrollierte Zittern der Gliedmaßen, der Rigor, diese abgehackten, unrunden Bewegungen, und die Akinese, sprich, man will loslaufen, kann es aber nicht, weil die Schaltung vom Gehirn zu den Muskeln nicht funktioniert. Nach dem Heilfasten verbessern sich all diese Symptome deutlich, wobei wir in unserer Klinik natürlich allen Patienten nach dem Fasten eine mediterrane Vollwerternährung in Bioqualität servieren, die als besonders darmschonend und entzündungsregulierend gilt. Welche Patienten profitieren darüber hinaus aus Ihrer Erfahrung am meisten vom Fasten? Migräne-Patienten, ganz klar. Die kriegen zwar am 3. Fastentag, an dem sich bei den meisten Menschen die sogenannte Fastenkrise einstellt, einen extremen Migräne-Anfall, aber danach wird alles besser. Wie erklären sich solche Attacken, vor allem, wenn sie regelhaft auftreten? Migräne-Patienten brauchen absolute Regelmäßigkeit. Unregelmäßigkeiten, ob diese nun die Schlafenszeiten, Essenzeiten oder unvorhergesehene Ereignisse betreffen, sind purer Stress und senken die Schwelle für einen Anfall. Fasten ist natürlich die größte nur denkbare physische, aber auch psychische Unregelmäßigkeit, auch wenn es genetisch in uns verankert ist. Aber nach dem 3. Tag geht es den Patienten dann so viel besser, dass die Anzahl der Kopfschmerztage deutlich weniger wird, zum Teil sind die Patienten über Monate anfallsfrei. Und wenn eine Attacke kommt, ist diese weniger stark und weniger lang. Dazu gibt es auch Beobachtungsstudien aus Migräne-Kliniken. Wir haben bislang an die 3.000 Migräne-Patienten betreut, und gut 80 % davon hatten weniger Attacken, manche gar keine mehr. Und wir sehen bei uns ja nur Patienten mit ganz schweren Verläufen. Die nehmen so starke Medikamente, dass viele bereits einen medikamenteninduzierten Kopfschmerz haben. Sollten Menschen unter starker Medikation überhaupt auf eigene Faust fasten? Auf keinen Fall, das ist viel zu riskant. Migräne-Patienten sollten beispielsweise nur unter ärztlicher Kontrolle fasten, denn während des Fastens werden die Medikamente abgesetzt. Bei Migräne-Patienten führt das direkt in den Entzug, was zunächst starke Beschwerden hervorrufen kann. Wir unterstützen die Patienten beispielsweise mit Ohrakupunktur, um den Entzug zu mildern. Allein zu Hause, ohne Begleitung, halten die Menschen das nicht aus. Sollten Medikamente generell während des Fastens abgesetzt werden? Das ist nicht immer möglich und auch nicht zu vertreten. Daher ist die ärztliche Begleitung ja so wichtig. Wer beispielsweise Bluthochdruck hat und Entwässerungstabletten nimmt, kann sie nicht einfach absetzen. Aber durch die fortgeführte Einnahme von Entwässerungstabletten kann man eine Hyponatriämie, also einen niedrigen Natriumspiegel im Blut, entwickeln und im schlimmsten Fall ein Hirnödem. Ibuprofen, Diclofenac oder Aspirin sind auch typische Beispiele. Sie greifen ja ohnehin bei Dauergebrauch die Magenschleimhaut an und sollten daher idealerweise zum Essen genommen werden. Wenn Sie nicht essen, die Magenschleimhäute also keinen Schutz haben, besteht ein erhöhtes Risiko für Magenschleimhautentzündungen. Daher gilt für kranke Menschen unter Medikation ganz klar: nicht ohne ärztliche Kontrolle fasten! Worauf sollte man beim Fasten sonst noch achten? Es sollte immer ein freiwilliger Nahrungsverzicht sein. Man sollte nicht seinem Ehepartner zuliebe fasten. Das geht garantiert schief. Die Patienten, die bei uns in der Klinik fasten, treffen eine freiwillige Entscheidung. Gerade für Fasten-Neulinge kann es unterstützend sein, in der Gruppe zu fasten. Vielen fällt es dann leichter. Die soziale Unterstützung halte ich schon für wichtig. Auch Trinken ist ganz elementar, mindestens 3 Liter Wasser oder Kräutertee. Diesen Punkt missachten viele, weil sie keinen Durst haben und sonst auch nie so viel trinken würden. Aber die Stoffwechselendprodukte, die der Körper ausscheiden will, müssen die Nieren auch ausscheiden können, und dafür brauchen sie nun mal Flüssigkeit. Wer zu wenig trinkt, bezahlt das mit Kopfweh oder Kreislaufproblemen. Der gute alte Leberwickel ist ebenfalls ratsam, um die Leber bei ihren Entgiftungsprozessen zu unterstützen. Ein Aspekt, der leider auch sehr gern ignoriert wird, ist Bewegung, vorzugsweise im Freien. Im Fastenmodus lebt der Körper ja von seinen Reserven. Zwar sind wir weitestgehend vor Proteinabbau geschützt. Doch um nicht unnötig Muskelmasse zu verlieren, sollte man die Muskeln aktivieren. Auch wenn man ein erhöhtes Ruhebedürfnis hat, dem man unbedingt nachgeben sollte, ist Bewegung daher elementar wichtig. Was empfehlen Sie Menschen, die nicht fasten können, weil sie ohnehin untergewichtig sind oder aus anderen gesundheitlichen Gründen nicht fasten sollten? Es gibt ja die Alternative des Intervallfastens, also 14 oder noch besser 16 Stunden lang nichts essen. Auch die kalorische Reduktion auf 500 bis 800 kcal am Tag, einmal in der Woche durchgeführt, steigert die Autophagie, was wir ja letztlich mit dem Fasten erreichen wollen. Da kann man ruhig ein bisschen rumprobieren und schauen, was man am besten in den Alltag integrieren kann. Dr. Rampp, ganz herzlichen Dank für das Gespräch! Antje Maly-Samiralow Literatur Dr. Thomas Rampp und Sabine Pork: Gesund durch Fasten. Knaur MensSana, 2017.

Der Artikel "Autophagie" ist Teil der Audio-Ausgabe Juni 2024

Autophagie

Das geniale Reinigungs- und Recyclingprogramm unserer Zellen

Editorial Juni 2024 · Vom Sinn des Lebens · Longevity-Medizin · Autophagie · Vitametik · Gürtelrose · Solidago · Resilienz und Weisheit · PLUS: Die komplette Ausgabe in einem Track

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