Natur-Defizit-Syndrom

Die Natur sichert uns das Überleben und hilft uns, körperlich, seelisch und geistig gesund zu bleiben. Umso erstaunlicher ist es, dass manche Menschen ihr ganzes Leben in einer urbanen Umwelt verbringen können und dennoch kaum das Gefühl haben, etwas Wesentliches zu versäumen. Die Verbindung mit unserem natürlichen Lebensraum scheint heute nicht mehr selbstverständlich zu sein – eine Entwicklung, die Forscher bereits mit einem eigenen Ausdruck belegen: Sie sprechen von einem Natur-Defizit-Syndrom. Das Nichtwissen um und das Nichterleben von Naturereignissen, ihren natürlichen Zyklen und Rhythmen bleiben allerdings nicht ohne Einfluss auf die Art unseres Denkens, Fühlens und auf die Entwicklung unserer Persönlichkeit. Das gilt ganz besonders für unsere Kinder. Eigentlich ist die Natur der größte Spiel- und Ideengeber, den unsere Kinder haben könnten. Auf Bäume klettern und Hütten errichten, aus Steinen Brücken bauen und Bäche stauen, Pfeil und Bogen schnitzen, Vögel beobachten, Tierstimmen erraten, Kastanien und Eicheln zum Basteln sammeln, Pilze finden und bestimmen, im Zelt übernachten oder mit geschlossenen Augen die Besonderheiten eines Baumes ertasten. Was durch die gesamte Entwicklungsgeschichte der Menschheit ein ganz natürlicher Spielplatz für den Homo sapiens war, ist so manchem Großstadtkind heute eine fremde Welt. Betreiber von Outdoor-Camps berichten über seltsame Phänomene, die sie bei ihrer Klientel feststellen: Kinder, die weinen, wenn sie schmutzige Hände bekommen. Kinder, die fassungslos sind, wenn sie ihr Handy ausmachen sollen, die völlig orientierungslos im Wald stehen und sich nicht zu beschäftigen wissen, weil sie das „Spielzeug“ um sie herum als solches gar nicht erkennen. Kinder, die Tiere, abseits von domestizierten Haustieren, nur noch aus Bilderbüchern und als computeranimierte Fabelwesen kennen – eine Entwicklung, die schon in den 1990er-Jahren eindrücklich belegt wurde. Damals malten in einem Experiment etwa 30 % der teilnehmenden Großstadtkinder die Umrisse einer Kuh mit lila Farbe aus, weil sie noch nie eine leibhaftige Kuh gesehen hatten. Dieses Phänomen bezeichneten die Forscher als „Bambi-Syndrom“. Sie bescheinigten den betroffenen Kindern einen idealisierten Zugang zur Natur, der in eine idyllisch verklärte Parallelwelt münde, die von keinerlei eigenen Erfahrungen geprägt und somit auch nicht mehr identitätsstiftend sei. „Wir-Zeit“ in der Natur Dabei kann das Leben in und mit der Natur tatsächlich identitätsstiftend sein. Die Natur mit all ihren Ausdrucksformen, Materialien und Farben regt die kindliche Fantasie an und animiert die Kleinen, sich als kreativen und ausdrucksfähigen Teil einer sich stetig wandelnden Welt zu begreifen. Gleichzeitig erfahren Kinder beim Spielen in der Natur sich selbst, weil die Natur mit all ihrer Symbolkraft Anlass bietet, das eigene Dasein in der Welt zu deuten. Naturerfahrungen seien persönlich bedeutsam, sagt der Biologe, Erziehungswissenschaftler und Psychoanalytiker Prof. Dr. Ulrich Gebhard. Auf symbolische Weise fühle sich der Mensch bei Naturerlebnissen gemeint und angesprochen. Diese Erfahrung hat auch Susanne Dyrchs gemacht. Sie hat ihre Kinder über einen langen Zeitraum selbst extremen Naturerfahrungen wie der Begegnung mit wilden Tieren ausgesetzt. Im Sommer vor 4 Jahren schnappten sich die Kölner Strategieberaterin und ihr Mann die beiden Söhne, damals 3 und 5 Jahre alt, und wagten etwas, das sie „Wir-Zeit“ nannten – ein Experiment, das sie von Kanada, Hawaii, Japan, Australien, Neuseeland, Chile und den Westen der USA wieder zurück nach Kanada führen sollte. Eine andere Route war geplant, aber in Japan wurde Susanne Dyrchs schwanger – und Afrika verschwand von der Reiseroute. Stattdessen kam ihr dritter Sohn nach 9 Monaten auf der Insel Vancouver Island in Kanada zur Welt. Zu Beginn der Reise halfen Susanne Dyrchs und ihr Mann gegen Kost und Logis auf einer Farm in der Wildnis aus. Sie hüteten Schafe und Pferde, passten auf Häuser auf und überführten ein winziges Wohnmobil von der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze nach Vancouver. Ein gewaltiges Abenteuer – nicht nur für die Eltern. Die dreifache Mutter lacht: „Das mag man mutig nennen, aber für uns war es eine sehr wichtige und intensive Familienzeit. Nach dieser Reise waren meine zwei Ältesten mehr als nur Brüder, sie waren Freunde. Ein Doppel fürs Leben – und das ist nur eine der tollen Erfahrungen, die wir als Familie machen durften.“ Vom Werden und Wachsen in der Natur Die Rückkehr in die Großstadt währte für die Kölner Familie nicht lange. Nur 9 Monate nach ihrer Landung auf dem Frankfurter Flughafen saßen die Dyrchs schon wieder im Flieger Richtung Kanada. Das einfache Leben in und mit der Natur ließ die Familie genauso wenig los wie die Sehnsucht nach Vancouver Island. Susanne Dyrchs: „Was wir zum Zeitpunkt unserer Rückkehr vollkommen unterschätzt hatten, war die Tatsache, dass man ein Wir-Zeit-Experiment nicht so einfach terminieren und abbrechen kann und dass derjenige, der eine Reise macht, auch das Risiko einkalkulieren muss, welches jede Reise mit sich bringt: eine unumkehrbare Veränderung im Denken, Handeln und Fühlen.“ Dieses veränderte Denken, Handeln und Fühlen konnte Susanne Dyrchs besonders gut an ihren Kindern ablesen. „Die Kinder haben sich damit arrangiert, mit wenig auszukommen und kreativ mit ihrer Umwelt umzugehen – unterwegs hat man einfach keinen unbeschränkten Zugang zu Spielsachen, Klamotten, Technik und Fernsehen.“ Da müsse man sich eben mit Hölzern, Steinen und manchmal auch mit Krebspanzern behelfen. „Jedes Kind besitzt hier auf Vancouver Island ab dem 4. oder 5. Lebensjahr ein Schnitzmesser oder eine Angel mit durchaus spitzen Angelhaken. Hier wird fast täglich geschnitzt und gewerkelt. Es ist schön zu beobachten, wie stolz die Kinder dann im Anschluss auf ihre Werke sind.“ Oft hielten die selbst gebauten Spielsachen auch länger als der gekaufte Plastikkram. Am Strand würde aus den angespülten Baumstämmen eine Hütte gebaut, am Dock geangelt, im Wald ein Baumhaus gebaut. „Es fühlt sich ein bisschen so an wie die Kindheit, von der mein Vater mir oft erzählt hat.“ Susanne Dyrchs hat durch das naturnahe Leben gelernt, dass sie ihren Kindern sehr viel mehr zutrauen kann, als sie es sich im Großstadtalltag je hätte vorstellen können. Sie hat hautnah miterlebt, dass Kinder nicht nur, aber besonders in der Natur an ihren Aufgaben wachsen – allerdings nur dann, wenn man sie nicht in den eigenen Begrenzungen festhält oder ihnen das Korsett vorgefertigter Spielzeuge und Spielplätze überstülpt. Mehr und mehr setzt sie nun ihre Kinder in den „Fahrersitz“ und schaut bewundernd dabei zu, was ihre Kleinen alles zuwege bringen – wenn die Eltern sie einfach machen lassen. Sie beobachtet, wie ihre Kinder immer mehr aus sich herausgehen und ihren Erfahrungsschatz kontinuierlich erweitern: „Ich bin live dabei, wie sie staunen, ausprobieren, entdecken, Bäume erklimmen, von Felsen ins Wasser springen, einen Ameisenzirkus bauen, Pfeile schnitzen und den Wellen lauschen. Ich schaue ihnen wortwörtlich beim Werden und Wachsen zu. Mir ist klar geworden: Das ist das größte Geschenk, das wir uns je hätten machen können.“ Neugier und Begeisterung entfachen Aber natürlich kann nicht jedes Kind – schon gar nicht, wenn es in einer Großstadt aufwächst – die Erfahrungen machen, die Familie Dyrchs auf ihrer Weltreise und in ihrem jetzigen Leben auf Vancouver Island machen konnte und kann. Das Leben in einer Großstadt sorgt nun einmal dafür, dass Kinder die Natur weitgehend als etwas von Menschenhand Angelegtes wahrnehmen, das sich nur sehr eingeschränkt entfalten kann. Dennoch kann eine die Bedürfnisse von Kindern berücksichtigende Stadtplanung Erlebnisräume in der Natur – wenn auch in einer weitgehend domestizierten – bieten. Dazu geforscht hat Dr. Dörte Martens, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Im Rahmen eines vom Bundesamt für Naturschutz geförderten Projekts mit dem Titel „Naturerfahrungsräume in Großstädten am Beispiel Berlin“ wurde in einer viereinhalbjährigen Begleituntersuchung die Neueinrichtung von Naturerfahrungsräumen, abgekürzt NER, wissenschaftlich untersucht. Wohnortartnahe Naturerfahrungsräume werden dabei zwar weitgehend von Menschenhand angelegt, bleiben aber danach sich selbst überlassen. In diesen halbwegs natürlichen Räumen inmitten der Großstadt sollen Kinder frei und altersübergreifend spielen, aufeinander aufpassen und voneinander lernen. Dr. Dörte Martens hat, ebenso wie manche Naturcamp-Betreiber, festgestellt, dass Großstadtkinder teilweise erst einmal enttäuscht und recht orientierungslos diese Plätze betreten, weil sie kaum jemals erlebt haben, dass die Natur einen weitaus besseren Abenteuerspielplatz bietet als die zumeist eher fantasielos gestalteten Spielplätze, in denen sich kindliches Spielen nur sehr eingeschränkt entfalten kann. Nach einer gewissen Eingewöhnungsphase jedoch stellt Dr. Dörte Martens fest, übe die Natur eine große Faszination auf die Kinder aus. Sie erleben, dass sie ihre Umwelt aktiv verändern können und Einfluss darauf haben, was und wie sie spielen wollen. Die Forscherin unterstreicht: „Für manche Großstadtkinder beinhaltet das Spielen in und mit der Natur eine Herausforderung, die im ersten Moment natürlich auch eine Überforderung sein kann. Nach und nach kann man bei den Kindern aber eine begeisterte Neugierde auf den so ganz anderen Lebensraum erkennen, eine wachsende Risikokompetenz und das Gefühl, Ängste und Widerstände überwinden zu können.“ Wandelnde Reize für Psyche und Gehirn Ein besonderes Merkmal beim Spielen in der Natur: Die natürliche Umwelt zeigt den Kindern, dass sowohl Kontinuität als auch Wandel zum Leben dazugehören. Eine neue Erfahrung für so manches Kind, denn ihre urbane, festgefügte Welt aus Beton und Asphalt bietet keines dieser Schauspiele. Im Wechselspiel der Jahreszeiten sind Bäume mal belaubt und mal unbelaubt, die Blätter sind grün oder herbstlich gelb-rot gefärbt. Beeren wandeln sich von klein, hart und grün zu groß, saftig und schwarz. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass sich in dieser sowohl vielfältigen als auch im steten Wandel befindlichen Umgebung Gehirn und Psyche besser entwickeln, weil sich vertraute und fremde Reize in der Natur bestmöglich ergänzen. Zudem zeigt eine Studie des Teams um Prof. Dr. Heike Molitor, Professorin an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung (HNE) in Eberswalde, dass das Spiel der Kinder in Naturerfahrungsräumen deutlich komplexer ist als auf herkömmlichen Spielplätzen. „Die Kinder basteln, bauen, sammeln und veranstalten Fantasie- und Rollenspiele. Der Stock wird zum Besenstil einer Hexe oder zum Harry-Potter-Zauberstab. Diese erweiterten Assoziationsmöglichkeiten bietet in dieser Form nur das freie Spielen in der Natur.“ Der Wechsel von einer fokussierten, zielgerichteten Aufmerksamkeit (Schule) zu einer ungerichteten, ziellosen Aufmerksamkeit (Natur) helfe den Kindern, sich besser zu konzentrieren, und sorge für mehr Ausgeglichenheit im Alltag. Zu dieser Erkenntnis ist auch Susanne Dyrchs gelangt. Sie habe, sagt sie, noch nie ein nervöses Kind im Wald gesehen oder ein fahriges, gestresstes kleines Wesen am Meer. Selbstbestimmung statt Kontrolle Leider fällt es nicht allen Eltern leicht, ihre Kinder selbstbestimmt und ohne Aufsicht sich selbst zu überlassen. Das gilt nicht nur für sogenannte Helikopter-Eltern, die daran gewöhnt sind, ihre Kinder sehr kontrolliert aufwachsen zu lassen. Viele moderne Eltern neigen dazu, ihre Kinder vor jeder Herausforderung und jedem Hindernis beschützen zu wollen: vor unbekannten, also zufälligen Spielkameradinnen und -kameraden, vor dem Autoverkehr, vor aufgeschürften Knien, vor vielleicht giftigen Pilzen und nicht bekannten Beeren. Um diese teilweise durchaus begründeten Ängste aufzufangen, setzen die Verantwortlichen in den Naturerfahrungsräumen auf die Arbeit sogenannter Kümmerer. Sowohl Kinder als auch Eltern sollen sich langsam und unter vorsichtiger Führung auf das Abenteuer des freien Spielens einlassen. Dabei sollen die Eltern, sagt Dr. Dörte Martens, keineswegs „missioniert“ werden. „Oft reichen die leuchtenden Augen der Kinder und ihre begeisterten Erzählungen von ihren kleinen und großen Abenteuern, um ihren Eltern begreiflich zu machen: Was die Kinder gemeinschaftlich in der Natur und abseits der Erwachsenen lernen und erfahren, hilft ihnen, selbstbewusster, autonomer und sozialer zu werden.“ Und vielleicht sogar auch gesünder. Viele Untersuchungen zeigen, dass die Natur einen großen Einfluss auf das körperlich-geistig-seelische Wohlbefinden hat. Nachweislich baut Waldluft Stresshormone ab, senkt den Blutzuckerspiegel und fährt den Pulsschlag herunter. Gleichzeitig arbeitet unser Immunsystem auf Hochtouren, und die Zahl der sogenannten Killerzellen erhöht sich deutlich. Diese Erfahrung hat auch Susanne Dyrchs gemacht. Ihr ältester Sohn war in der Großstadt häufig krank. „Von seinem desaströsen Hautbild, seiner schwachen Lunge, seinem oft kränklich wirkenden Gesicht und der daraus resultierenden Unzufriedenheit mit sich selbst ist heute nichts mehr zu erkennen. Die Herausforderungen der Reise und der bis heute tagtägliche Umgang mit den Elementen Wasser, Feuer, Erde und Luft haben ihn stärker werden lassen – mental und psychisch.“ Noch heute sage ihr Junge manchmal: „Ich habe zu viel Energie, ich muss jetzt raus!“ Nach ein paar Stunden komme er dann zufrieden und ausgepowert nach Hause zurück – so wie alle Kinder auf Vancouver Island, eine Region, in der übergewichtige und unsportliche Kinder die absolute Ausnahme sind. Naturschützer von klein auf Naturerfahrungen können allerdings nicht verordnet werden, weil die Natur kein pädagogisch gestaltbarer Lernort ist. Nur im ruhigen Beobachten, im stillen Staunen und Eintauchen in ihre Elemente offenbart sie ihre ganz eigenen Weisheiten. Der Klimawandel mit seinen zunehmenden Dürren oder sintflutartigen Regenfällen, abgeholzte Urwälder, die Überfischung der Meere, Plastik in unseren Ozeanen: Diese Entwicklungen sind ein Zeugnis dafür, dass wir in weiten Teilen verlernt haben, diese ganz besonderen Weisheiten wahrzunehmen und unser Handeln an die Bedürfnisse der Natur anzupassen. Stattdessen ächzen unsere Ökosysteme unter der Dominanz und Ignoranz der menschlichen Spezies. Die Natur braucht mehr denn je Anwälte und Anwältinnen, die sich für einen behutsameren Umgang mit unseren natürlichen Lebensräumen einsetzen. Noch gibt es keine Langzeitstudien, die Auskunft darüber geben könnten, ob ein Aufwachsen in und mit der Natur dafür sorgt, dass unsere Kinder nicht erst im Schulunterricht lernen müssen, welchen Wert die Natur hat und wie sehr wir Menschen intakte Okösysteme für das eigene Überleben brauchen. Aber es scheint naheliegend, dass Kinder durch das freie Spielen in der Natur nicht nur psychisch und physisch gesünder aufwachsen, sondern auch frühzeitig die Natur als etwas Wertvolles und Schützenswertes erachten. Dr. Dörte Martens sieht jedenfalls Hinweise dafür, dass frühe Naturerfahrungen Einfluss darauf haben können, ob aus unseren Kindern aktive Naturschützer oder eher desinteressierte Erwachsene werden. Susanne Dyrchs ist überzeugt, dass die Liebe zur Natur sogar in einer Betonwüste erlernt werden kann: mithilfe von Ausflügen, Filmen, Erziehung und eigenen Haustieren. Aber sie sagt auch: „Wenn du nie die Vogeljungen in einem Nest oder die sich aus Kaulquappen entwickelnden Frösche im Teich beobachtet, wenn du nie den angespülten Müll oder die sich in einem Plastiknetz verhedderte Möwe am Strand gesehen hast, dann ist es zumindest schwieriger, ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Naturschutz zu entwickeln. Denn nur so werden Ratio und Gefühl gleichermaßen angesprochen.“ Ihre Kinder hätten schon im Vorschulalter gelernt, „dass jede Muschel, jeder Tierkadaver und jedes Sandkorn zu einem Ökosystem gehören, aus dem wir nicht einfach ein Mosaiksteinchen herausnehmen dürfen. Alles bleibt in seinem natürlichen Kreislauf. Bei Ebbe offenbart das Meer seine Kostbarkeiten, am Abend holt sich die Flut zurück, was keinen natürlichen Abnehmer gefunden hat. Eine Geschichte vom Geben und Nehmen. Das leuchtet den Kindern ein.“ Gleichgültig werden ihre Kinder der Natur wohl niemals gegenüberstehen. Sie kennen die natürlichen Zyklen von Geburt und Tod. Sie kennen den Wechsel der Jahreszeiten. Sie kennen die Bedeutung, die jedes einzelne Lebewesen für das große Ganze hat. Sie wissen, dass sie selbst ein Teil all dessen sind und nicht achtlos mit ihren pflanzlichen und tierischen Mitgeschöpfen umgehen dürfen. Ihre tiefe Verbundenheit mit allem, was lebt, drückte sich nach ihrer kurzzeitigen Rückkehr in die Großstadt auch in Bildern aus. Über Monate malten die Kinder einen Orca oder Adler nach dem anderen, bis alle vier Wände ihres Kinderzimmers damit tapeziert waren. Da spätestens merkten die Eltern: Unseren Kindern fehlt etwas. Einmal fragte die Mutter ihren damals 3-jährigen Sohn, was eine glückliche Kindheit für ihn bedeute. Eine gewagte Frage für einen so kleinen Jungen. Aber das aufgeweckte Kerlchen musste gar nicht lange nachdenken: „Mit euch in der Natur sein, das ist Glück.“ Annette Lübbers Über die Autorin Annette Lübbers ist Journalistin und Buchautorin. Ihre Schwerpunkte sind u. a. Menschen und Schicksal, ganzheitlich heilen, Ökologie und Umweltschutz, anders wirtschaften, Naturwunder. Literatur • Susanne Dyrchs: Wir-Zeit. Eine Familie auf der Reise zu sich selbst. Ludwig Verlag, 2021. • Emily Bone und Alice James: Raus in die Natur! Mein Outdoor-Entdeckerbuch. Usborne Publishing, 2019 (Kinderbuch). • Ralph Müller: Raus in die Wildnis: Praktisches Wissen für das Leben in der Natur. AT Verlag, 2019.

Der Artikel "Natur-Defizit-Syndrom" ist Teil der Audio-Ausgabe August 2022

Natur-Defizit-Syndrom

Warum wir die Natur brauchen, und das schon als Kind

Editorial August 2022 · Zauber der Natur · Schlafen ohne Druck · Natur-Defizit-Syndrom · Destillate · Weißer Hautkrebs · Hilfreiche Tipps bei Reisekrankheit · August 2022 – Der Hoffnungsmacher · PLUS: Die komplette Ausgabe in einem Track

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