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Efeu: Eine Ranke für den freien Atem

Den grünen Efeu, der sich malerisch an alten Gemäuern, Dachrinnen und Bäumen emporwindet, kennt wohl jeder. Wie ein Tausendfüßler hält er sich mit seinen unzähligen kleinen Haftwurzeln fest und kann so Maximalhöhen von bis zu 50 Metern erklimmen. Düsterer Beton schreckt ihn ebenso wenig ab wie die dunklen Wintermonate, und sein gelb- bis dunkelgrünes Laub tupft überall etwas Farbe ins
triste Grau. Weniger bekannt ist seine heilende Wirkung. Am ehesten wissen Eltern davon, die ihren Sprösslingen zur Erkältungszeit Efeu-Saft gegen Hustenattacken geben. Der Würzburger Studienkreis „Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ hat den Efeu zur „Arzneipflanze des Jahres 2010“ gekürt
Der ursprünglich aus den tropischen Regenwäldern stammende Efeu (botanisch Hedera helix) ist eng mit der europäischen Menschheitsgeschichte verbunden. Im Altertum war er den Göttern des Weines geweiht und stand somit für Heiterkeit, Geselligkeit und Fruchtbarkeit. So wurden der altägyptische Osiris, der griechische Dionysos und der römische Bacchus mit Wein- und Efeulaub bekränzt dargestellt. Während festlicher Gelage trug man Efeukränze, um die vom Alkohol erhitzten Häupter abzukühlen. Auch Dichter bekränzte man mit Efeu, denn er galt als heilige Pflanze der Musen.
In der Symbolik des Christentums erscheint der Efeu als Zeichen des ewigen Lebens, und so findet man ihn häufig als Relief auf frühchristlichen Sarkophagen, wo er Zeugnis ablegt über die christliche Hoffnung auf die Unsterblichkeit. Aufgrund ihrer engen Verbundenheit mit den Bäumen galt die immergrüne Pflanze auch als Symbol für immerwährende Treue und Zuverlässigkeit und wurde daher oft bei Hochzeiten als Schmuck verwendet.
Auch als Heilpflanze blickt der Efeu auf eine lange Tradition zurück. Bereits Hippokrates, der „Vater der Medizin“, nutzte im vierten Jahrhundert v. Chr. die Wurzeln, Blätter und Früchte der Pflanze sowohl innerlich als auch äußerlich gegen Milzbeschwerden, Gicht, Ohren- und Kopfschmerzen, Lungenleiden und Fieber. Auch Dioskurides, Militärarzt und Verfasser der „Materia Medica“, schätzte die Heilkraft des Efeus. Im ersten vorchristlichen Jahrhundert empfahl er ihn zur äußerlichen Anwendung gegen Menstruationsbeschwerden, Kopf-, Ohren- und Zahnschmerzen sowie bei Brandwunden. Allerdings wusste Dioskurides auch, dass die Ranke giftige Anteile in sich trägt, und so warnte er ausdrücklich vor der inneren Einnahme des Efeusaftes, da dieser eine Geistesstörung verursachen könne. Heute weiß man: Frische Blätter und deren Saft können allergische Reaktionen der Haut hervorrufen. Besonders giftig sind aber für Menschen die Beerenfrüchte der Pflanze: Ihr Verzehr kann zu Übelkeit, Durchfall und Erbrechen führen.
Im Mittelalter schrieb die heilkundige Äbtissin Hildegard von Bingen (1098–1179) dem Efeu eine „kühlende Wirkung“ zu. Äußerlich angewendet empfahl sie die Pflanze bei unregelmäßigen Blutungen und gegen Gelbsucht. In Verbindung mit Beinwell verordnete sie das Naturheilmittel auch gegen Eingeweidebrüche. Vom „inneren Genuss der schädlichen Ranke“ riet sie ebenfalls ausdrücklich ab.
Im 16. Jahrhundert etablierte sich der Efeu fest als Heilpflanze und erhielt zunehmend Aufmerksamkeit als Mittel gegen entzündliche Reizungen der Schleimhäute im Mund- und Rachenraum. In der heutigen Erfahrungsheilkunde gilt er als wirksam bei Reizhusten, Bronchialkatarrh und verschleimten Bronchien.
Aufgrund der Giftigkeit der Pflanze werden die Blätter in der modernen Phytotherapie (Pflanzenheilkunde) nicht mehr zur inneren Anwendung gesammelt und als Tee zubereitet, sondern als standardisierte Fertigpräparate (erhältlich in Drogerien und Apotheken) verwendet. Mit diesen lassen sich Katarrhe der Luftwege, wie z.B. trockener oder verschleimter Husten, hervorragend selbst behandeln. Bei ernsteren Erkrankungen wie akuter und chronischer Bronchitis oder Asthma bronchiale sollten Efeu-Präparate als begleitende Maßnahme nur unter Absprache mit einer fachkundigen Person eingesetzt werden.
In der Erfahrungsheilkunde werden auch heute noch Efeublätter äußerlich bei Brandwunden, Hühneraugen und Entzündungen eingesetzt. Es wurden sogar Erfolge bei der Behandlung von Cellulite mit Efeuextrakten in kosmetischen Präparaten erzielt: Durch die zusammenziehende und betäubende Wirkung der Inhaltsstoffe sollen kräftige Massagen möglich sein. Zudem helfen die gefäßverengenden Eigenschaften der Ranke mit, das im Gewebe gespeicherte Wasser zu entziehen.
Efeublätter enthalten als Hauptwirkstoff Triperten-Saponine. Sie zählen zu den bitter schmeckenden Naturstoffen, die oberflächenaktive Eigenschaften besitzen und in wässriger Lösung schäumen. Efeu-Saponine besitzen ausgeprägte pilzabtötende, virus- und bakterienhemmende Eigenschaften. Damit greifen sie den Husten gleich auf mehreren Ebenen an.
Die Medizinhistoriker, Ärzte, Apotheker und Biologen des Studienkreises „Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ begründen ihre Entscheidung nicht ausschließlich mit diesen therapeutischen Aspekten. Für viele Tiere sind efeuumrankte Bäume ein echtes Paradies: Insekten und Vögel finden dort Versteck und Nahrung. Der Admiral, ein eindrucksvoll gezeichneter Schmetterling sowie Bienen und Wespen genießen die reichhaltige Nahrung im Herbst. Und im Frühling, wenn die reifen Früchte bläulich schimmern, bieten die Ranken einen vitaminreichen Imbiss für Vögel, Mäuse und Insekten, der die Lebensgeister nach dem entbehrungsreichen Winter wieder mobilisiert.
Und auch die Hauswände profitieren vom regulierenden Mikroklima unter den immergrünen Blättern, denn sie halten im Winter die wärmeabstrahlende Luft am Haus, schützen im Sommer vor der heißen Sonnenstrahlung und sorgen dafür, dass starker Regen glatt an den Blättern abläuft. Leider finden die Haftwurzeln des Efeus jede poröse, bröckelnde Stelle im Putz und lenken ihre Wurzeln zielsicher in jede Lücke unter den Ziegeln und Dachlatten. Stetige Pflegearbeit, auch an 20 Meter hohen Gebäuden, ist bei Efeubewuchs also unumgänglich.

Willi Dommer

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