Das verlorene Singen im Alltag
Kaum eine andere Zeit im Jahr ist von der Kultur des Singens derart geprägt wie die Weihnachtszeit – sei es traditionell im Kreise der Familie vor dem Weihnachtsbaum oder in einem Chor in der Kirche. Es ist jedoch ein landesweites Phänomen: Der Nachwuchs singt nicht mehr, auf jeden Fall kein traditionelles Liedgut, wie es fast 200 Jahre lang in Deutschland gepflegt wurde. Auch diejenigen, die den Schritt des gemeinsamen Singens in einen Chor nicht wagen, aber gerne singen würden, kommen zu selten zu dem Vergnügen, aus freier Seele zu singen – außer vielleicht beim morgendlichen Duschen. Wann haben wir als Erwachsene denn heute noch die Gelegenheit, einfach mitzusingen? Oder wann tun wir es von uns aus, jenseits von Druck und Leistung? Als unverstellter Ausdruck unserer Empfindungen und Gefühle? In der Regel ganz selten oder nie. Wir haben in unserer Gesellschaft die Verhältnisse so eingerichtet, dass hierfür einfach kein Platz mehr ist. Das Singen ist somit als natürliche Möglichkeit, unseren Gefühlen eine unmittelbare Sprache zu geben, stillschweigend verschwunden. Es gibt dennoch Möglichkeiten, wie wir wieder mehr Freude an eigenen Klängen haben können.
Gemeinsam singende Fischer vor einer Hafenkneipe auf einer griechischen Insel: Dieses Bild erfüllt fast jeden mit einem sehnsuchtsvollen Gefühl. Weckt es doch Urbilder von einem erfüllten Leben in glücklicher Gemeinschaft. Es weht hier etwas von verlorenen Zeiten herüber. Sind unsere Gefühle, die bei der Vorstellung der singenden Fischer aufkommen, nicht nur Ausdruck sentimentaler Verklärung von einer heilen Welt? Ist gemeinsames[…]