Was werden wir getan haben?

Anstatt unseren Fokus auf die endlosen Schleifen negativer Nachrichten zu lenken, sollten wir unseren Blick auf Geschichten des Gelingens richten – Geschichten von tatkräftigen Menschen, die mit ihren weitsichtigen Ideen und sinnvollen Aktionen dazu beitragen, eine andere, eine bessere Welt zu gestalten – und die rückblickend werden sagen können: Wir sind nicht untätig geblieben, sondern haben gehandelt. Umfangreich und nicht ganz neu ist das Wissen über die Vielfachkrisen, in denen wir uns befinden. Groß stehen die Herausforderungen, welche Klimakatastrophe, Artensterben und Ressourcenknappheit usw. mit sich bringen, vor uns. Doch unser Stoffumfang, der für die Herstellung, Lieferströme und den Konsum von Produkten und natürlich für all die Energie gebraucht wird, wächst weiter. Und damit auch der Umfang der Zerstörung von Lebensräumen, die seit den „Grenzen des Wachstums“ (Meadows 1972) eben nicht gebändigt, sondern immer brutaler weitergeht. Die Meldungen und Warnungen der Wissenschaften, wohin unsere Art, zu wirtschaften und zu leben führen wird, wenn sich nichts ändert, entsetzen uns zwar – führen aber kaum zu Konsequenzen: Menschen halten weiter an ihrer Lebensweise und Unternehmen an ihrer Wirtschaftsweise sowie ihren Geschäftsmodellen fest. Wir wissen also um die Notwendigkeit, endlich Veränderungen einzuleiten. Doch egal in welchen gesellschaftlichen Bereich man schaut, überall Intensivierung, überall Extraktion und Verantwortungsdiffusion; wir laufen sozusagen mit offenen Augen ins ökologische Verhängnis, obwohl wir alle wissenschaftlichen Fakten kennen. Wir wissen, was wir tun. Alle machen weiter, weil niemand weiß, wie man den einfachen Sachverhalt, dass auf einem begrenzten Raum mit begrenzten Ressourcen kein unendliches und ungebremstes Wachstum möglich ist, auf attraktive Weise kommunizieren soll. Und wenn es schon an der Kommunikation scheitert, wie soll dann eine Systemtransformation umgesetzt werden? Als der Sozialpsychologe Harald Welzer und ich vor genau zehn Jahren feststellten, dass die damals gängige Ökokommunikation mit ihrem moralischen Zeigefinger, den ganzen Konjunktiven („man müsste …“, „man sollte …“ oder „man könnte …“), den schlechten Nachrichten und Katastrophenszenarien ebenfalls nicht zum Handeln führte und auch nicht in die Lage versetzte, die eigenen Handlungsspielräume zu erkennen, gründeten wir die gemeinnützige Stiftung FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit. Einerseits wollten wir Agent/innen für Menschen sein, die unter schwierigen Voraussetzungen in nicht nachhaltigen Strukturen, also against all odds, ein richtigeres Leben im Falschen zu führen versuchen. Wir hatten nämlich die Beobachtung gemacht, dass es eine beträchtliche Anzahl von Einzelnen, Initiativen, Gruppen, Unternehmen, Genossenschaften usw. gibt, die unter den real existierenden Bedingungen einer auf Konsum- und Verbrauchssteigerung ausgelegten Gesellschaft ihre Welt ganz anders gestalteten – also anders wirtschafteten, anders produzierten, sich anders organisierten. Genau solche Akteur/innen wollten wir ermutigen, unterstützen und miteinander verbinden. Es wurde Zeit, sich aus dem Schatten ins Licht zu stellen. Andererseits wollten wir auch den Unentschlossenen und Zaghaften zeigen, dass die Gestaltung der Welt in eine enkeltaugliche Zukunft für alle mehr Autonomie und Selbstbestimmung, mehr Spaß und Freude, mehr Solidarität, Gemeinschaft und Gerechtigkeit bringen würde. Und weil schon hier und da in Nischen gemeinsam experimentiert wurde, konnte man von solchen Personen und ihren Projekten durchaus eine Menge lernen, wie man ganz praktisch aus einer nicht nachhaltigen Gesellschaft auf den Pfad in eine nachhaltigere kommen könnte. Und schließlich fanden wir, dass es für die Ökokommunikation insgesamt ganz gut und vorwärtsbringend sei, wenn man mal „Geschichten des Gelingens“ erzählen würde anstatt immer nur Geschichten des permanenten Weiterbauens am Weltuntergang. Deshalb lehnt sich auch der Name der Stiftung FUTURZWEI ganz bewusst an die grammatikalische Form des Futur II an, denn darin ist ja die konkrete Utopie begründet. Menschen sind, soweit bekannt, die einzigen Lebewesen, die sich erstens eine Zukunft vorstellen können (Futur I), sich aber dann auch in einen zukünftigen Zustand hineinversetzen und, mehr noch, von diesem imaginierten Zukunftsort aus zurückblicken können, also auf den Weg, den man zurückzulegen hatte, um an diesen Ort in der Zeit zu kommen (Futur II). Übersetzen kann man diese kognitive Fähigkeit in Fragen wie: Wer werde ich gewesen sein? Was werden wir getan haben? Werde ich eine derjenigen gewesen sein, die zugeschaut haben, wie ungerecht und zerstörend gehandelt wird? Oder werde ich mich dagegen aufgelehnt haben? Das ist die Kernoperation des Entwerfens von Zukunftsbildern, die übrigens individuell und kollektiv anwendbar ist, und in dieser Methode selbst liegt ein utopisches, die Bedingungen der Gegenwart überschreitendes Moment. Aus: Die Willkommensgesellschaft Eine konkrete Utopie Von Lukas Geisler Vorwort von Dana Giesecke © oekom verlag, München, 2022 www.oekom.de/buch/die-willkommensgesellschaft-9783962383930

Der Artikel "Was werden wir getan haben?" ist Teil der Audio-Ausgabe März 2023

Was werden wir getan haben?

Editorial März 2023 · Was werden wir getan haben? · Der Einfluss unserer Zähne auf den gesamten Organismus · Life Kinetik · Aktivkohle · Mit Harnstoff gegen trockene Haut · Evidenzbasierte Medizin · März 2023 – Weil jeder Samen zählt · PLUS: Die komplette Ausgabe in einem Track

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