Kurzsichtigkeit bei Kindern
Antwort
Alle Kinder sehen zunächst nicht optimal. Aber spätestens bis zum 5./6. Lebensjahr wird die Kurzsichtigkeit (Weitsichtigkeit nur selten) von selbst korrigiert. Wenn das Sehvermögen dann immer noch eingeschränkt ist, führt an der Korrektur durch eine Brille in der Regel kein Weg vorbei. Viele Augenärzte verordnen den kleinen Patienten immer noch eine „Unterkorrektur“, also eine Brille, die den Sehfehler nicht vollständig ausgleicht.
Nachvollziehbar wird diese Praxis erst, wenn man sich den Sehvorgang vergegenwärtigt. Die Lichtstrahlen, die beim Sehen ins Auge treffen, werden von der Hornhaut und Linse so gebrochen, dass auf der Netzhaut ein verkleinertes Abbild der Umwelt entsteht. Der Ziliarmuskel stellt die Linse auf Fern- oder Nahsicht um (Akkommodation). Bei Kurzsichtigkeit flacht der Muskel die Linse nicht mehr ausreichend ab, die Lichtstrahlen entfernterer Objekte treffen sich vor der Netzhaut und erzeugen ein unscharfes Bild. Eine Sehhilfe korrigiert den Strahlengang so, dass das Abbild der Umwelt wieder auf der Netzhaut liegt.
Allerdings birgt diese Korrektur auch Nachteile. Durch eine Fernbrille verlagert sich der Brennpunkt für nahe Objekte hinter die Netzhaut, die näheren Abbilder werden unscharf. Da die Linse nicht mehr entsprechend eingestellt werden kann, verlängert sich der Augapfel, bis sich die Strahlen wieder auf der Netzhaut treffen. Das hat schlechtere Fernsicht zur Folge, eine stärkere Brille wird bald erforderlich. Überdies nimmt das Risiko zu, an Netzhautablösung oder Grünem Star zu erkranken. Um das zu vermeiden, werden kurzsichtigen Kindern oft Brillenstärken verordnet, die den Sehfehler nicht ganz ausgleichen. Das Abbild der Umwelt liegt noch ein wenig vor der Netzhaut, scharfes Sehen ist deshalb nicht möglich.
Die Annahme, dass eine solche Unterkorrektur der Kurzsichtigkeit günstiger für die Augen ist, belegt lediglich eine kleine, bald 40 Jahre alte Studie, die als wissenschaftlich ungenau gilt. Eine neue Untersuchung zu dieser Problematik an der „Anglia Polytechnic University Cambridge“ mit einer größeren Zahl kurzsichtiger Schüler ergab nun das Gegenteil: Bei den Kindern, deren Kurzsichtigkeit nicht vollständig ausgeglichen wurde, verlängerte sich der Augapfel deutlich schneller als bei denen, deren Sehstörung optimal korrigiert wurde. Die vermeintliche Vorsichtsmaßnahme bewirkt also eher das Gegenteil, die Augen werden dadurch noch schlechter.
Eine genaue Erklärung für dieses Untersuchungsergebnis fand man noch nicht, an dem Resultat selbst bestehen aber keine begründeten Zweifel. Wenn die Kurzsichtigkeit nicht vollständig ausgeglichen wird, also kein scharfes Bild auf der Netzhaut entsteht, verschlimmert sich die Sehstörung zusätzlich.
Leider scheint es, dass sich diese Einsicht noch nicht genügend in den Praxen der Augenärzte „herumgesprochen“ hat, sonst wäre die Unterkorrektur sicher nicht mehr gebräuchlich. Eltern sollten sich bei der Verordnung einer Sehhilfe für ihre Kinder genau erkundigen, ob der Sehfehler dadurch vollständig oder nur teilweise kompensiert wird. Andernfalls sollten sie unter Berufung auf die neusten Erkenntnisse darauf bestehen, dass die optimale Brillenstärke verordnet wird. Und dem Kind versucht man zu erklären, bei verschwommener Sicht Eltern und Augenarzt davon zu unterrichten.
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