Das Leben in Leidenschaft umarmen

Daniel Odier ist tantrischer Meister der kaschmirischen Pratyabhijna-Schule der Kaula-Tradition. Er lehrt im Augenblick zu leben und den Körper, die Empfindungen und Gefühle von jeglichen Glaubensmustern und erstarrten Formen zu lösen – bis zum Auftauchen einer spontanen Freude, die unabhängig von äußeren Umständen ist. Tantra (abgeleitet von „tan“: Weite, Ausdehnung, Ganzheit) hat mit den sexuellen Praktiken, die man in den westlichen Schulen findet, nur wenig zu tun, es ist vielmehr ein Jahrtausende alter Weg der Rückkehr zu unserem ursprünglichen Wesen, das die Vollkommenheit in sich trägt. Die tantrische Lehre beruht auf der Idee, dass dem inneren Kern nichts hinzugefügt oder genommen werden kann. Die Suche nach diesem vollkommenen Kern führt uns nicht in die Abgeschiedenheit, sondern mitten ins Leben, indem wir in die Realität eintauchen und mit der Welt der Materie, die uns umgibt, kommunizieren. Der Tantriker findet Erfüllung, indem er mit all seinen Sinnen das Leben umarmt und durchdringt. NATUR & HEILEN sprach mit Daniel Odier im Rahmen eines Seminars, das er in Paris hielt.
Interview mit Daniel Odier Der Alltag als Praxisfeld Im Gegensatz zu den meisten spirituellen Traditionen, die die Abgeschiedenheit und den Rückzug aus der Welt fördern, befindet sich der Kern der tantrischen Lehre im Alltagsleben. Das tantrische Yoga ist eine einfache Lehre, in der der Mensch die alltägliche Realität als Praxisfeld wählt, ohne auf irgendetwas zu verzichten – indem er die[…]